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Polens Regionen in Gefahr

24. März 2021

Die Regierung in Warschau schickt sich an, gegen EU-Grundsätze zu verstoßen.

Der Artikel erschien am 2.2.2021 als Gastkommentar in der Wiener Zeitung und danach im Magazin von Paneuropa Österreich.


Auf EU-Ebene drehte sich die Diskussion um Polen zuletzt fast ausschließlich um die Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz, die Blockade des EU-Finanzrahmens samt Recovery-Fund und des Grünen Deals sowie die Verschärfung der Abtreibungsgesetze. Doch unbemerkt von der europäischen Öffentlichkeit schickt sich Polens Regierung auf Druck von PiS-Chef Jarosaw Kaczynski an, die bewährte regionale Struktur des polnischen Staates schrittweise im Sinne ihres parteipolitischen Interesses zu zerstören. Hier geht es nicht nur um ein innenpolitisches Thema, sondern um einen eklatanten Verstoß gegen weitere EU-Grundsätze: Subsidiarität, Multilevel-Governance, Selbstbestimmung und Demokratie.


Schon im Herbst 2019 deutete Kaczynski an, seine nationalkonservative Regierungspartei PiS beabsichtige eine politisch-administrative Trennung der Woiwodschaft Masowien in die Regionen Warschau (Metropolregion Warschau) und Mazovia (ländliche Zone). Nun werden die Pläne vorangetrieben. Die Zentralregierung hat den Druck auf die politisch unliebsamen Woiwodschaften durch Reduktion finanzieller Ressourcen schon länger erhöht.


Masowien, die größte und mit 5,3 Millionen einwohnerstärkste der 16 Woiwodschaften Polens, umfasst die Hauptstadt Warschau und die Region rundherum. Die Hauptstadt hat rund 1,8 Millionen Einwohner, die sie umgebende Region 3,6 Millionen. Warschau war schon im Mittelalter das Herz dieser Region. Nach dem Ende des zentralistischen kommunistischen Systems wurde zur Dezentralisierung und Wiederherstellung der regionalen Selbstverwaltung im Zuge der Gebietsreform 1999 Masowien als historische Region wieder geschaffen. In der Zeit der NS-Besatzung war die Region getrennt in den Distrikt Warschau und den Distrikt Radom, wie man es jetzt offensichtlich wieder plant. Polens postkommunistische Gebietsreform wurde oft als gelungenes Beispiel für andere neue EU-Staaten angeführt.


Dabei muss man beachten, dass Polen trotz der Dezentralisierungen ein zentralistisch organisierter Staat geblieben ist. Die Autonomie der Woiwodschaften ist beschränkt, ihre Gesetzgebungskompetenzen sind sehr begrenzt. Jede Woiwodschaft hat ein eigenes Regionalparlament (Sejmik) und eine von diesem gewählte Regionalregierung unter Vorsitz eines Marschalls. Jede gewählte Woiwodschaftsregierung hat einen von der Zentralregierung bestellten Woiwoden als Aufpasser an der Seite, der die Selbstverwaltung der Woiwodschaften, Landkreise und Gemeinden kontrolliert und natürlich von der regierenden Partei gestellt wird.


Sozioökonomisch gefährlich


Offenbar ist der PiS ein Dorn im Auge, dass der angesehene Arzt und Gesundheitsmanager Adam Struzik von der oppositionellen Polnischen Volkspartei schon seit 2001 mehrfach wiedergewählter Marschall von Masowien ist und der von der christlich-liberalen Bürgerplattform aufgestellte Rafa Trzaskowski im Jahr 2018 zum Warschauer Oberbürgermeister gewählt wurde.


Der Plan, Masowien zu trennen und damit die sich am dynamischsten entwickelnde Region in Polen zu zerstören, entbehrt praktisch aller Argumente. Die PiS hofft wohl, auch wenn Warschau selbst zwar weiter fest in den Händen der Opposition bliebe, auf eine Mehrheit in einer neugeschaffenen ländlichen Region Mazovia rundherum. Da ist es Kaczynski offensichtlich völlig egal, dass die Schaffung einer neuen Verwaltungsstruktur nicht nur sehr teuer wäre, sondern auch die sozioökonomischen Unterschiede in den beiden neuen Regionen verschärfen sowie zu einer Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit und einer Verlangsamung der Entwicklung der gesamten Region - insbesondere der ländlichen Gebiete - führen würde. Die Aufhebung bestehender sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Bindungen würde zu einer Verarmung der ländlichen Gebiete und zur Landflucht in die Metropole Warschau führen, die auch Belastungen für diese mit sich brächte.


In der bestehenden Region speist die einkommensstarke Metropole Warschau das Budget der gesamten Woiwodschaft Masowien, womit innerhalb der Region ein wichtiger Einkommenstransfer stattfindet. Mehr als 53 Prozent der in- und ausländischen Unternehmen befinden sich in Warschau und weitere 22 Prozent in Poviats direkt daneben. Damit werden alle Kulturinstitutionen, Spitäler und Verkehrswege in der ganzen Region Masowien aufrecht erhalten. Nach der Trennung von Warschau hätte die neue ländliche Region Mazovia zwar 86 Prozent der Fläche Masowiens, aber nur 13 Prozent der jetzigen Steuereinnahmen, um die gleichen öffentlichen Aufgaben zu erfüllen.


Die Verwaltungsreform 1999 sollte wirtschaftlich starke Regionen schaffen - dem widerspräche die Aufteilung Masowiens, die eines der ärmsten Gebiete in Polen schaffen würde. Sollte sie gelingen, drohen noch weitere Trennungen und Zusammenlegungen historischer Regionen aus rein parteipolitischen und wahltaktischen Gründen.


Auch hier gilt für Europa: Wehret den Anfängen!


Bild: Ansicht von Warschau im 18. Jahrhundert.

© Illustration: Ölgemälde von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto (1770)

von Stefan Haböck 3. Dezember 2024
Professor Fate Velaj ist eng mit Österreich verbunden. Seit Juni 2024 ist er Botschafter in dem Land, in das er einst floh. Salzburg. Fate Velaj hat eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich. In der unruhigen Zeit nach dem Fall des Kommunismus in Albanien floh er nach Österreich, kam nach Traiskirchen und dann ins niederösterreichische Scheibbs. Er lernte Deutsch, widmete sich der Kunst, studierte in Wien an der Universität für Angewandte Kunst und schrieb sogar einen Roman, der kürzlich erschien. 2017 wurde er Abgeordneter im albanischen Parlament und unterstützt das Land seither auf dem Weg zum EU-Beitritt. Im Rahmen des 20. Salzburg Europe Summits trafen sich IRE-Vorsitzender Franz Schausberger und der neue Botschafter, S.E. Fate Velaj, zu einem Arbeitsgespräch. Dabei wurden die aktuellen Herausforderungen der EU-Erweiterungspolitik vor allem am Westbalkan besprochen. Albanien, das bisher an Nordmazedonien gekoppelt war, hat mit der EU nun offiziell Beitrittsgespräche begonnen und erste Kapitel geöffnet. Botschafter Fate Velaj sieht besonders in den grenzüberschreitenden Kooperationen große Potentiale für Albanien und die gesamtze Region, grenzt das Land doch an zwei EU-Mitgliedsstaaten (Italien und Griechenland) und drei Länder, die ebenfalls der EU beitreten möchten (Kosovo, Nordmazedonien und Montenegro). Botschafter Valej und IRE-Vorsitzender Franz Schausberger vereinbarten eine weiterhin exzellente Kooperation und freuen sich auf zukünftige gemeinsame Projekte.
von Stefan Haböck 3. Dezember 2024
Die IRE-Delegation traf den erfolgreichen Bürgermeister der Stadt Posen, Jacek Jaśkowiak, zu einem Arbeitsgespräch. Posen. Posen, die Hauptstadt der Region Großpolen, blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück: In der Mitte zwischen Berlin und Warschau gelegen, entwickelte sich die Stadt von der Grablege der ersten polnischen Herrscher im 10. Jahrhundert zu einer pulsierenden polnischen Stadt. Ende des 18. Jahrhunderts vom Königreich Preußen besetzt und eingegliedert, gehörte die Stadt ab 1918 wieder zu Polen, wurde 1939 von der NS-Diktatur besetzt und Anfang 1945 von der Sowjetarmee erobert. 1956 fand der bekannte Posener Aufstand statt, der von der Volksarmee blutig niedergeschlagen wurde. 1990 konnten die ersten freien Lokalwahlen durchgeführt werden. Die Stadt mit der wunderschönen Altstadt ist heute die 5. größte Stadt Polens und zählt über 550.000 Einwohner und mehr als 130.000 Studentinnen und Studenten, was die Stadt zu einem wichtigen Bildungsstandort macht. Seit 2014 ist Jacek Jaśkowiak erfolgreicher Oberbürgermeister der Stadt Posen. Der sportbegeisterte Marathonläufer und Unternehmer wurde 2014 gewählt und 2018 sowie 2024 im Amt bestätigt. Bei einem Arbeitsgespräch mit Franz Schausberger erzählte er von der positiven Entwicklung der Stadt. Man habe einen der neidrigsten Schuldenstände polnischer Städte, eine positive wirtschaftliche Entwicklung und investiert in moderne urbane Infrastruktur. Die Universität bringt hunderttausende junge Menschen in die Stadt und bekannte europäische Unternehmen wie Volkswagen haben Produktionsstätten in Posen. Seit dem Krieg gegen die Ukraine ab 2014 und besonders ab 2022 seien viele Ukrainerinnen und Ukrainer nach Posen gekommen. Diese hätten sich hervorragend integriert und würden einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung der Stadt leisten. Interessiert zeigte sich Oberbürgermeister Jaśkowiak an der Arbeit des Instituts der Regionen Europas (IRE), den vielfältigen Aktivitäten und des wichtigen Ansatzes, Regionen in Europa miteinander zu vernetzen. Herzlich gratulierte er zum 20-Jahr-Jubiläum des IRE.
von Stefan Haböck 3. Dezember 2024
Franz Schausberger nahm an Paneldiskussion zu "20 Jahre Polen in der EU" in Posen teil. Posen. Von 13. bis 14. Oktober waren IRE-Vorsitzender Franz Schausberger und Policy Advisor Stefan Haböck in Posen (Poznań), der Hauptstadt der Region Großpolen (Wielkopolska), um an der Konferenz "Local Trends: European Conference of Regions" teilzunehmen. Ein Teil dieser jährlich in wechselnden Städten stattfinden Trend-Konferenz drehte sich dieses Jahr - passend zum 20-Jahr Jubiläum der letzten großen EU-Erweiterungsrunde - um das Thema "20 Jahre Polen in der EU". 20. Jahre Polen in der EU: Herausforderungen und Chancen für polnische Regionen Auf Einladung vom Marshall der Region Großpolen, Marek Woźniak, sprach IRE-Vorsitzender Franz Schausberger über seine Erlebnisse in Polen in der Zeit auf dem Weg zum EU-Beitritt, den Sorgen und Hoffnungen vor und nach dem Beitritt zur EU und wie europäische Regionen von der Vernetzung profitieren würden. Die anderen Teilnehmer der hochkarätigen Diskussion waren Arnoldas Abramavičius, Vize-Innenminister von Litauen; Marek Woźniak, Marshall von Großpolen und Stefanie Hegels, Vorstandsvorsitzende von Volkswagen Poznan. Moderiert wurde die Session von Jan Olbrycht, der von 2004 bis 2024 Mitglied des Europäischen Parlaments war. Franz schausberger erzählte unter anderem von seinen Erlebnissen noch vor dem EU-Beitritt, als er in den 1990er Jahren den Aufbau von lokaler und regionaler Selbstverwaltungen polnischer Regionen unterstützte. Auszeichnung für das IRE Im Zuge der Konferenz zeichnete der Marshall von Großpolen, Marek Woźniak, langjährige Unterstützer der polnischen EU-Integration und Freunde der polnischen Regionen aus. Franz Schausberger und das IRE bekamen das extra für diesen Anlass angefertigte Kunstwerk mit Freude überreicht.
von Stefan Haböck 3. Dezember 2024
Nach fast 300 Sitzungen in Brüssel absolvierte IRE-Vorsitzender Franz Schausberger am 20. November 2024 seine letzte AdR-Plenarsitzung. Brüssel. Der Europäische Ausschuss der Regionen (AdR) feiert aktuell das 30-Jahr-Jubiläum seines Bestehens. Er wurde 1994 geschaffen, vertritt die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und berät die Europäische Kommission, den Rat und das Europäische Parlament. Fast 29 Jahre lang vertrat IRE-Vorsitzender Franz Schausberger das Land Salzburg im in dieser EU-Institution. Dabei konnten viele Initiativen für Salzburg und die europäischen Regionen gesetzt werden. In seiner letzten Plenarrede verwies Franz Schausberger auf den besonderen Bereich der EU-Erweiterung, dem er unter anderem als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Westbalkan sowie zuletzt als Ko-Vorsitzender des Gemischten Ausschusses EU-Serbien besondere Aufmerksamkeit widmete. Als eine besondere Herausforderung sieht Franz Schausberger die von ihm ausgearbeitete Stellungnahme des AdR zum Vertrag von Lissabon, der die regionale und kommunale Ebene entscheidend gestärkt hat. "Ich hoffe und wünsche, dass die Euphorie zur Stärkung der Regionen und Kommunen in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die in den letzten Jahren leider einer zunehmenden Zentralisierung sowohl auf der europäischen Ebene als auch in den EU-Mitgliedsstaaten gewichen ist, letztendlich doch wieder zu einer Hinwendung zu mehr Regionalisierung, Dezentralisierung und zur Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips führen wird," so Schausberger in seiner Wortmeldung. Foto: franz Schausberger mit Apostolos Tzitzikostas (links), Gouverneur der griechischen Region Zentralmakedonien und seit 1. Dezmber neuer EU-Kommissar für Transport, Mobilität und Tourismus.
von Stefan Haböck 3. Dezember 2024
In Brüssel traf sich IRE-Vorsitzender Franz Schausberger mit Albin Zogaj, dem stellvertretenden Bürgermeister von Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo. Brüssel. Der stellvertretende Bürgermeister Albin Zogaj berichtete über die jüngsten Entwicklungen in Prishtina und die bevorstehenden Parlamentswahlen im Kosovo Anfang 2025. Die Stadt Prishtina habe großes Interesse am Ausbau ihrer Kontakte und ihres europaweiten Netzwerkes. Gerade durch grenzüberschreitenden Austausch und best prqactice Beispiele würden Städte und Gemeinden besonders profitieren und Erfahrungen sammeln. Prishtina ist mit rund 200.000 Einwohner die größte Stadt des Kosovo und politisches, wirtschaftliches Zentrum. Foto (v.l.n.r.) Franz Schausberger, Vizebürgermeister Albin Zogaj und Claus Binder, Leiter der Abteilung Regionsangelegenheiten der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU.
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